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Erziehung zur Härte – Visionen für Düsseldorf   

Wenn prominente rechtsextreme Frontkämpfer aus dem mittlerweile stark eingebläuten Osten sich nach Düsseldorf begeben, um ihrer AfD-Kolonne dort das Siegen beizubringen oder sie mit totalitären Zukunftsvisionen zu versorgen, dann sollte die rheinische Bürgerschaft aufmerken und in die Gegenoffensive gehen. 

Anfang September (1.9.25) nutzte der AfD-Fraktionsvorsitzende von Brandenburg, Hans Christoph Berndt, mit seinen Düsseldorfer Gastgebern das Bürgerhaus Garath, um bei der AfD für die Kommunalwahl in NRW die Siegermentalität zu schüren. Siehe dazu ausführlich: Die blaue Hochburg von Düsseldorf, in https://www.flaschenpoesie.de/40822.html.

Einen Tag nach der Kommunalwahl (15.9.25) stand Götz Kubitschek im Bürgerhaus Bilk (https://www.youtube.com/watch?v=j73_lpmSKTs). Der Verleger und einflussreichste metapolitische Lieferant der AfD auf ihrem Weg zur Gestaltungsmacht in Deutschland, schon lange mit Bernd Höcke gut befreundet, präsentierte dort in Merkpunkten fürs Mindset der lokalen AfD-Mitglieder seine Visionen zur „Umerziehung“, zum „radikalen Gesellschaftsumbau“.

Er referiere zum ersten Mal in Düsseldorf und sei soweit westlich noch nie aufgetreten. Als Landmensch, der zwar aus Schwaben stamme, fühle er sich als Wahl-Ossi in der Ortschaft Schnellroda in Sachsen-Anhalt „landsmannschaftlich“ pudelwohl. Die Menschen „soweit westlich“, hätten es viel schwerer, während er aus einem „leeren Land komme, immer Parkplätze, kein überfülltes Restaurant“. Allein durch Bilk habe er „locker flockig“ 25 Minuten bis zum Veranstaltungsort gebraucht. Diese Beschreibung verrät eine tiefe Unkenntnis der Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs in einer Großstadt. Der deutsche Westen und die moderne Großstadt sind dem Landei Kubitschek vom Rittergut im Osten als Lebensform völlig fremd, und das merkt man auch den ausgebrüteten Überlegungen „zur Rettung des Vaterlandes“ und den dabei verwendeten Begriffen an. 

Bei der Beantwortung der den Vortrag grundierenden Leitfrage, „Was ist notwendig zur Rettung des Vaterlandes?“, gehe es nicht oberflächlich um Karriere und Kulisse, sondern um das „Vaterland der Deutschen“: „drunter machen wir es nicht.“ Wer heute noch oder wieder seiner persönlichen „landsmannschaftlichen“ Einordnung explizit Priorität einräumt und das „Vaterland“ als oberste kollektive Bezugsgröße aufrichtet, statt etwa den Menschen mit seiner Würde und seinen Rechten, dessen Orientierung basiert auf dem Glauben an deutsche Erde und Nation als mythischen Grund des Volkes, bei dem auch das Blut als Bestimmungskriterium nicht ausgeschlossen scheint. 

Das von Kubitschek als „Rettung“ des Vaterlandes ausgewiesene Unternehmen ist in Wirklichkeit das aufs Innere gerichtete Projekt einer Wiederbelebung des tragenden Gefühls der tiefen Zugehörigkeit des Einzelnen zum deutschen Vaterland und seiner Aufhebung in ihm als Grundlage der Volksidentität. Die andauernd im Hintergrund leise hörbaren lauten Parolen der Gegendemonstranten draußen vor dem Bilker Bürgerhaus begleiten Kubitscheks Entfaltung seiner Merkpunkte als ständigen grundsätzlichen Einspruch der Düsseldorfer Stadtgesellschaft. 

Die Eingangstür, die zur AfD führe, sei der „gesunde Menschenverstand“, der sich natürlicherweise von selbst versteht aber nicht ausreiche, um bei der Rettung Deutschlands entscheidende Fortschritte zu machen. Es gelte, sich die Angst vor Begriffen abzugewöhnen, die eine Umerziehung, einen radikalen Gesellschaftsumbau im Sinn haben. In der Rolle des Volkserziehers führt Kubitschek, der einst auf Lehramt studierte, zu Beginn den Begriff der „Härte“ zur Kennzeichnung des Charakters ein, der bei der Umerziehung benötigt werde. Die Großeltern seien härter gewesen, notwendig, um im Leben zu bestehen. Man dürfe keine Angst haben vor „harten Begriffen“: „Alternative Politik ist ein hartes Geschäft.“ 

Der gesunde Menschenverstand erkenne angesichts der zahllosen „Verrücktheiten“ im ersten Augenblick unmittelbar das Richtige, Gesunde, Normale und für die Jugend Gedeihliche. Es gelte, „zurückerziehen hin zur Normalität“. Die aktuelle Konjunktur des Begriffs der „Normalität“ steht für eine Sehnsucht nach Selbstverständlichkeit und Unmittelbarkeit der Tradition. Wer wie Kubitschek Normalität als politischen Kampfbegriff verwendet, will der Spaltung durch ausdifferenzierende Reflexion und Gleichgültigkeit konkurrierender Möglichkeiten entkommen. Der Alarm, den eine Normalitätsbehauptung beim skeptischen und kritischen Zeitgenossen auslösen sollte, wird durch die Genehmigung, endlich einmal wieder im heimatlichen Schoß der Masse uneingeschränkt politisch zu etwas JA sagen zu dürfen, deaktiviert. 

Der Volkspädagoge, selbst kein Parteimitglied, rät den anwesenden AfD-Lokalpolitikern, die amorphe Mehrheit des Volkes da draußen anzusprechen und sie zu mobilisieren. Sie müsse „in unserem Sinne ausgerichtet werden auf das Richtige.“ Der politische Gegner habe geschafft, sie zu formen, „wir müssen das auch.“ Dabei dürfe der alternative Politiker nicht von der Mündigkeit des Einzelnen und der Kraft des besseren Arguments ausgehen, was nur auf individueller Ebene funktioniere und von Bedeutung sei. 

An dieser Stelle nimmt Kubitschek eine normative Spaltung menschlichen Handelns vor. Für politisches Handeln gelten andere Gesetze. Politik funktioniere auf der Ebene der Masse und bedürfe anderer Vorgehensweisen. Bilder, Slogans und Kampagnen seien für die Ausrichtung der Masse mehr wert als Argumente. Mitglieder einer Masse müssten in eine Richtung brüllen, handeln, und Dinge tun, die sie als einzelne niemals tun würden. Die Erstürmung des Kapitols als Beispiel dafür erwähnt er nicht. Persönliche Verantwortung wird von Kubitschek an die Masse delegiert, in ihr aufgehoben und neutralisiert. Kubitschek streicht bei den alternativen Akteuren und den Adressaten ihrer Aktionen die Instanz des reflektierten Individuums. Der politische Akteur soll in aller Härte niedere Instinkte ansprechen und das Mitglied der Masse soll die individuelle Verantwortung für sein Handeln in der politischen Aktion aufgeben. 

Der alternative Kämpfer für Deutschland müsse sich einen politischen Blick der Härte auf den Menschen und die Gesellschaft angewöhnen und nicht mit diesem „nachbarschaftlichen“ Blick, der sowieso da sei, agieren. Egal, wie lange der Nächste schon zum deutschen Volk gehöre, Sie werden helfen, der Nächste, wenn’s konkret ist, dem werde geholfen, das verlange „der Anstand, die Erziehung, der humane Blick, den wir alle haben müssen“. 

Migranten aber sind für Kubitschek keine Nachbarn und Nächsten. Er zieht an dieser Stelle zum Zweck der Moralhygiene die gleiche Grenze wie J.D. Vance, der die Grenzziehung bei der Nächstenliebe allerdings glaubte mit Augustinus und dessen „Ordo Amoris“ katholisch legitimieren zu können, wofür er zu Recht massive päpstliche Kritik erfuhr. Kubitscheks Grenzziehung ergeht ohne katholisches Mäntelchen, wie bei Vance letzten Endes auch, aus dem Glauben an die Priorität des eigenen Volkes, der eigenen Nation. 

„Aber wenn wir Politik machen, geht’s nicht um den Nächsten, da geht’s um die Frage, in welche Zukunft unser Volk geht“, ob das Volk „weitere drei Millionen Nächste vertragen“ könne. Migranten seien „aus politischer Sicht“ nicht unsere Nächsten, wenn sie ins Land kämen. Kubitschek impft die lokalen AfD-Politiker mit einem anderen Blick auf die Welt, um sie gegen moralische Skrupel zu immunisieren. Bei Politik für Masse und Staat gehe es nicht mehr um den Nächsten, das Gefühlige, sondern darum: Welches Interesse hat unser Volk? Es gehe „knallhart“ um die Frage: Dient es dem Interesse oder nicht? 

Kubitschek formatiert die AfD-Lokalpolitiker unter ihrem gläubigen Beifall, die dann knallhart und eiskalt das Volk umerziehen sollen, das dann legitimiert seine Fremdenfeindlichkeit gewissenlos zum Ausdruck bringen kann. Keiner aus dem Publikum zeigt sich in der nachfolgenden Fragerunde auch nur ansatzweise irritiert von diesem Entwurf. Dabei stehen Politiker und Parteien, die diesem Politikkonzept folgen, außerhalb des Grundgesetzes, das explizit auf der Basis von Menschenwürde und universellen Menschenrechten formuliert ist. 

Wenn demnächst in einigen Bundesländern Gestaltungsmacht erreicht werde, dann sei auch „kalkulierter Rechtsbruch“ notwendig, Verstöße gegen Recht und Verfassung im Geiste des Volkes als oberster Instanz der Legitimität. Eine Politik für die vom Volk verbürgte Normalität sei wichtiger und richtiger als bestehendes Recht. Politische Entschieden- und Entschlossenheit im Namen des deutschen Vaterlandes zu seiner Rettung gingen im Ernstfall vor Gesetzestreue. Beim „kalkulierten Rechtsbruch“ geht Politik vor Recht. 

Im Politikkonzept von Kubitschek hängt alles mit allem zusammen, weil es ihm um einen totalen Gesellschaftsumbau geht. Deshalb seien die Bereiche Zivilgesellschaft und Medien zwei zentrale Felder für das Umerziehungsprojekt der deutschen Alternativen. Die Gesellschaft sei gekapert vom ÖRR und den Leitmedien. Entscheidend und „extrem wichtig“ für den politischen Erfolg sei insofern der Aufbau alternativer Medienmacht. Denn die Zivilgesellschaft sei „komplett“ gegen die AfD eingestellt, werde von Nichtregierungsorganisationen darin unterstützt, und müsse in Richtung rechts-alternativ umerzogen und umgebaut werden. 

Es wundert nicht, dass Kubitschek im Laufe seiner Lehrstunde auf einen zentralen Gründungsmythos rechtsalternativer Politik zu sprechen kommt, auf den 12. September 2015, als die Merkel-Regierung die Grenze für Flüchtlinge öffnete, statt sie von Rechts wegen zurückzuweisen, weil sie aus einem sicheren Drittland hereindrängten. Für den ehemaligen Berufssoldaten Kubitschek sind die „Wegerziehung von der Waffe“, die mentale Schwäche der Deutschen, sich auf „die harte Art“ zu verteidigen und die Flüchtlinge mit aller Härte und Gewalt zurückzuschieben, verantwortlich für diesen historischen Fehler. 

Biografisch trifft sich Kubitscheks Evangelium militärischer Härte mit der wohltemperierten Grausamkeit des Ausdauersportlers Höcke in der Verwirklichung gemeinsamer Leistungsmärsche über „30 Kilometer in fünf Stunden, das kennen sie von der Bundeswehr.“ (Schindler, Höcke, 195)

Das Volk sei wegerzogen worden von der Wehrhaftigkeit, der Waffe, von der Haltung, was ist meins, wo ist die Grenze, wer darf sie überschreiten. Es habe keine Identität mehr. Es sei die Aufgabe der AfD-Politiker im Saal, das Volk wieder dorthin zu erziehen, „wo es mit sich selbst etwas anfangen will“, „was möglich ist, wenn man sich anstrengt“, wo es weiß, wer es ist, also eine fest umrissene Identität besitzt. Die Deutschen seien ein „spektakuläres, welthistorisches Volk“, das entweder weitergehen wolle oder sich nicht mehr wolle. 

In der Diskussionsrunde (https://www.youtube.com/watch?v=L9co4PK2HRM) nach dem Vortrag erkundigt sich ein Teilnehmer danach, was denn zu tun sei, um die Verbindung zum „spektakulären Deutschen“ wieder zu entwickeln. Ohne groß nachzudenken haut Kubitschek die Losung raus: „das richtige Zeug lesen.“ Diese simple Antwort ist bedeutsamer für das politische Konzept des Verlegers Kubitschek als man zunächst vermuten mag. Er zählt dem Publikum beispielhaft einige Bücher von Historikern auf, die „Sternstunden“ des deutschen Volkes thematisieren, durch deren Lektüre man über Geschichtserzählung zur Ausbildung deutscher Identität gelange. Geschichtslehrer Höcke übrigens denkt das ganz genauso. Dann folgt mit erhobenem Zeigefinger in der Stimme der Zusatz: „Und Romane aus deutschen Epochen!“ Die Anschaulichkeit der Romanlektüre eigene sich besonders gut, aus deutscher Geschichte zu lernen, sich ihr anzuverwandeln. 

Schon während des Vortags empfiehlt Kubitschek den AfD-Politikern in unterschiedlichen Zusammenhängen Lektüren. Unabhängig von den einzelnen Empfehlungen veranschaulicht sein ständiger Bezug auf geschichtliche, literarische, philosophisch-soziologische Lektüren, die diesem Verleger eingefleischte literarisch-phantasmatische Orientierung als Konstruktionsprinzip von politischer Ideologie. Industrie, Naturwissenschaft, Technik, Verwaltung und Sport etwa kommen als allgemeine Bezugnahmen der Gestaltung von Gesellschaft durch Politik überhaupt nicht vor. Seine eng umrissene kulturell-historische Prägung mit identifikatorischem Fokus auf Deutschland erzeugt den entsprechenden mythischen Überbau, den er predigt, um dem Volk des deutschen Vaterlands wieder absoluten Sinn und spektakuläre Identität zu verschaffen. 

Der Landmensch Kubitschek ist ein bäuerlich-soldatischer und reaktionärer Schöngeist. Er pflanzt den banalisierten und unreflektierten Düsseldorfer Lokalpolitikern der AfD auf eine durchaus auratische Weise den deutschen Volksdünkel mit den Sekundärtugenden Härte und Kälte und all seinen genuin antidemokratischen Elementen ins Ohr, vom kalkulierten Rechtsbruch bis zur völkischen Spaltung der Nächstenliebe und Menschenwürde mit daraus folgender Ausgrenzung. Für Christen und Demokraten gänzlich inakzeptabel! Bei allem, was man lesen kann, scheint auch Höcke über diese auratische Begabung zu verfügen, die „amorphe Masse“ der ängstlichen und ausgegrenzten Bürger von der inneren Pauschalreise zurück in die Totalität des deutschen Vaterlandes zu überzeugen, um es zu retten. 

Zum Ende seiner Rede präsentiert der kinderreiche Kubitschek den Anwesenden noch eines der Hauptprobleme, das einer Rettung Deutschlands im Wege stünde: die demographische Katastrophe. Nie wären die Bedingungen für Kinder besser gewesen als heute. Zur Steigerung der Suggestivkraft greift er auch in diesem Kontext auf Literatur zurück, auf den Roman „Follower“ von Eugen Ruge. Dessen männlicher Held stehe am Ende, bei allen modernen Kommunikationsmitteln, kontaktlos, vereinzelt und ohne Nachkommen da. Das düstere Schlussbild des Romans, dass es „bei ihm endet“, diese Dystopie der Kinderlosigkeit sei für Kubitschek Antrieb für die verstärkte Zeugung zur Rettung des deutschen Vaterlandes. Im identifikatorischen Kurzschluss mit dem Romanhelden gerät dem Patriarchen des Volkes die Emanzipation der Frau gänzlich aus dem Blick. Bei all den total normalen AfD-Politikern im Bürgerhaus Bilk, die ihm ergeben lauschen und zum Schluss begeistert Beifall spenden, sorgt dieser nationalväterliche Blick nicht für die geringste Irritation. 

Wie man so weit kommen kann, dass man nicht denkt, der Kubitschek (Berndt, Höcke und Konsorten) da oben auf dem Podium spinnt völlig und erzählt totalen Stuss von gestern, ist mir mit fast siebzig Jahren im Westen der Republik und halbwegs gebildet absolut schleierhaft. Bei Kubitscheks Rede klingelt andauernd der Nationalsozialismus Sturm im Verstand und löst schrillen Alarm aus. Das Bedürfnis, die tiefe Verwandtschaft solcher Visionen von Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus argumentativ zu entfalten, was ohne Schwierigkeiten möglich wäre und schon vielfach geleistet wurde, aber total aufwändig ist, verschwindet sofort, wenn ich an die scheinbar immer größer werdende rationale Immunität der Adressaten und die gespenstische Sogwirkung der AfD denke. 

Wirklich dagegenhalten geht nur polemisch: mit Parolen, Schlagfertigkeit, Verdichtung, Bildern, Slogans, Witz, strategischen Kampagnen – oder im Namen der Demokratie mit der verfassungsgerichtlichen Verweigerung der Baugenehmigung für diesen radikalen Gesellschaftsumbau. Und die Stadt Düsseldorf sollte Mittel und Wege finden, die Nutzung ihrer Bürgerhäuser für den Aufruf zum radikalen Gesellschaftsumbau in Zukunft grundsätzlich zu unterbinden.   

Olaf Haas 26.11.2025